Montag, 5. November 2012

//Der Sommer des Jahrhunderts//

Mannequins promenieren auf der Rennbahn Grunewald in Berlin 1913 / Bundesarchiv, Bild 146-1973-030C-24 / Pahl, Georg / CC-BY-SA

Zückt den Notizblock, liebe Literaturliebhaber, denn Weihnachten naht und ich habe hier einen wundervollen Tipp für eure Wunschliste: Kürzlich erschien "1913 - Der Sommer des Jahrhunderts" von Florian Illies, das ist jener Autor, der mit Generation Golf etwas genervt hatte, in seiner neue Publikation dafür umso lesbarer schreibt. 

Illies hat sich das Jahr 1913 vorgeknöpft - welches sonst im Schatten großer Zahlen wie 1900, 1914-1918 oder 1939-1945 untergeht - und es nach Strich und Faden durchleuchtet. Nein, so ganz richtig ist das nicht: Dieses Jahr minutiös auf Papier zu bringen, hätte wohl zu einem haushohen Wälzer geführt, auch ist nicht jedes Detail interessant. Illies pflückt sich also aus dem Repertoire historischer Figuren und Ereignisse jene heraus, die ihn besonders faszinieren. 

Wir treffen auf Else Lasker-Schüler, die in orientalische Gewänder und billigen, klimpernden Schmuck gekleidet für Aufsehen sorgt und eine ebenso heißblütige wie kurze Affäre mit dem melancholischen Leichensezierer und Literaten Dr. Gottfried Benn eingeht. Wir lesen von Franz Kafka, der mit schwerem Herzen in Prag sitzt und in jeder freien Minute bedrückende Briefe an seine Geliebte Felice schreibt, die im fernen Prenzlauer Berg das aufregende Leben eines "modernen Mädchens" lebt. Rainer Maria Rilke hat Schnupfen, Marcel Prousts erster Teil von Auf den Spuren der verlorenen Zeit wird veröffentlicht und von der Kritik als "zu lang" bekrittelt (wenn die gewusst hätten, dass noch sechs Teile folgen!). Freud erforscht sein Unbewusstes und Schnitzler verwandelt seines in Literatur. Hitler und Stalin gehen im Wiener Park Schönbrunn spazieren, allerdings nicht gemeinsam. 

Die meisten Ereignisse, auf die Illies in diesem wundervollen Buch das Schlaglicht wirft, sind harte Fakten, nachlesbar in zahlreichen Briefen, Essays und Geschichtsbüchern, doch es sind die teilweise eingestreuten Mutmaßungen, die die Texte zu besonderem Leben erwecken. Und uns die Welt-, Kultur- und Literaturgeschichte dieses einen Jahres schmackhaft auf einem Silbertablett servieren, wie es wohl kein Geschichtsbuch dieser Welt vermag.

Florian Illies: 1913 - Der Sommer des Jahrhunderts. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2012. Gebunden, 320 Seiten. 19,99 Euro.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das Buch hört sich ja wirklich toll an, werde es mir bei nächster Gelegenheit ebenfalls zulegen. Was für ein tolle Idee. Allein, dass Kafkas Felice am Prenzlauer Berg sitzt, ist das Buch ja schon wer - da hab ich auch mal gewohnt...am Ende saß sie ja in meiner Wohnung...;-)))

Fräulein Julia hat gesagt…

Sie wohnte in der Immanuelkirchstraße, also auch direkt bei mir um die Ecke :)

Anonym hat gesagt…

brrr, ich kann mir wirklich nicht vorstellen dass dieser florian illies was wundervolles zu papier bringt, genervt hat er mit seinem zeitgeistkäse und anwesenheit auf diversen veranstaltungen, puh. das ist einer von den typen, die in der schule demonstrativ mit dem spiegel rumgelaufen sind am montag. ich werds nicht lesen. nicht kaufen, nix. aber schön, mal wieder eine buchkritik zu lesen bei dir. grüsse rokkn

Fräulein Julia hat gesagt…

rokkn, ich hielt es ja auch nicht für möglich: aber dieses Buch liest sich in einem Rutsch, es lässt die ganze Geschichte so lebendig werden - wirklich wundervoll!!